China First - Die Welt auf dem Weg ins chinesische Jahrhundert

China First - Die Welt auf dem Weg ins chinesische Jahrhundert

von: Theo Sommer

Verlag C.H.Beck, 2019

ISBN: 9783406734847

Sprache: Deutsch

481 Seiten, Download: 5431 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

geeignet für: geeignet für alle DRM-fähigen eReader geeignet für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones Online-Lesen PC, MAC, Laptop


 

eBook anfordern

Mehr zum Inhalt

China First - Die Welt auf dem Weg ins chinesische Jahrhundert



Einleitung

Die Chinesen kommen? Sie sind schon da!


Die Menschheit erlebt derzeit den dramatischsten geopolitischen, geostrategischen und geoökonomischen Wandel seit einem halben Jahrtausend. Genau genommen ist es die dritte historische Machtverschiebung der neueren Geschichte. Die erste war der Aufstieg Europas, der sich um das Jahr 1500 anbahnte, als Kolumbus Amerika entdeckte und Vasco da Gama über den Seeweg den indischen Subkontinent erreichte. Die zweite Machtverschiebung setzte Ende des neunzehnten Jahrhunderts ein, als die Vereinigten Staaten auf die Weltbühne traten, die sie dann hundert Jahre lang beherrschten – politisch, ökonomisch und militärisch. Heute sind wir Zeugen der dritten historischen Wandlung: einer gewaltigen Verschiebung von Macht und Wohlstand vom Westen zu den aufstrebenden Ländern der übrigen Welt. The West and the Rest, in Niall Fergusons einprägsamer Formulierung, finden sich mit einem Mal in einem völlig neuen Verhältnis zueinander wieder.

Das neunzehnte Jahrhundert war das Jahrhundert Europas, das zwanzigste das American Century. Das einundzwanzigste Jahrhundert, so lauteten die meisten Vorhersagen um die Jahrtausendwende, werde das Jahrhundert Asiens.

Irrtum: Es wird das chinesische Jahrhundert.

Immer wieder steht in den Schlagzeilen: «Die Chinesen kommen». Das ist der zweite Irrtum. Die Chinesen sind schon da. In den letzten vierzig Jahren haben sie einen in der ganzen Weltgeschichte beispiellosen Aufschwung genommen. Seit dem Beginn von Deng Xiaopings Wirtschaftsreformen und der Öffnung Chinas zur Welt Ende 1978 ist das Bruttoinlandsprodukt um das Vierzigfache gestiegen, das Pro-Kopf-Einkommen hat sich verhundertfacht, ebenso der Export. Seit 2010 ist China die größte Handelsmacht und seit 2012 die zweitgrößte Volkswirtschaft der Erde. Im Laufe des nächsten Jahrzehnts wird es Amerika überholen und seinem Sozialprodukt nach wieder das sein, was es bis Anfang des neunzehnten Jahrhunderts gewesen ist: die größte Nationalökonomie auf unserem Planeten.

Der Aufbruch hat China verändert: 700 bis 800 Millionen der 1,4 Milliarden Chinesen haben sich über die Armutslinie in den Mittelstand hochgearbeitet, alle, die noch in Armut leben, sollen bis 2020 daraus befreit werden. Die Grundbedürfnisse der Menschen sind erfüllt, für 2021 ist das Ziel ein «umfassender bescheidener Wohlstand» mit einem Pro-Kopf-Einkommen von 12.000 Dollar. Bis 2035 will das Land sich ins Mittelfeld der starken Industrienationen vorarbeiten, bis 2049 an deren Spitze treten. Von der exportgetriebenen Entwicklung schwenkt China nun um auf einen gesteigerten Binnenkonsum und den Ausbau des «Internets der Dinge». Entschlossene Digitalisierung soll der Wirtschaft einen entscheidenden Schub nach vorn geben. Auf den Forschungsfeldern Künstliche Intelligenz, Quantencomputer und Big Data prescht das Land machtvoll voran; bis 2030 will China das führende KI-Zentrum der Welt sein.

Im März 2015 veröffentlichte die Regierung ihren Masterplan «Made in China 2025». Es ist ein gigantisches Aufholprogramm, das die alten Industriestaaten bis Mitte des nächsten Jahrzehnts abhängen soll. Zehn Schlüsselindustrien sollen bis dahin an die Weltspitze gehievt werden: Informationstechnologie, Robotik, Luft- und Raumfahrt, Meerestechnik und Schiffbau, Hochgeschwindigkeitsschienenverkehr, alternative Automobilantriebe, Energieerzeugung, neue Werkstoffe, Landwirtschaftsmaschinen, Biomedizin und medizinische Geräte. So soll 2025 der Anteil der chinesischen Hersteller an Hightech-Produkten auf dem einheimischen Markt 70 Prozent erreichen; auch sollen bis dahin die meisten wichtigen Werkstoffe im Lande produziert werden. Dabei greift der Staat den künftigen global champions mit Fördergeldern in Höhe von vielen hundert Milliarden Dollar unter die Arme. Allein ein Forschungsfonds für Halbleiter erhält über 100 Milliarden Dollar. Der Sektor Künstliche Intelligenz (KI) soll bis 2030 zu einer 150-Milliarden-Industrie hochgepäppelt werden, die weltweit führend ist und auch die Standards für die anderen setzt. «China führte einst die Welt an, und es wird dies bald wieder tun,» prophezeit Tang Xiao’ou, der Gründer des Pekinger KI-Pioniers Sensetime. Darauf ist auch der Ehrgeiz des Staatspräsidenten Xi Jinping gerichtet.

Im April 2018 stand Xi in Yichang auf dem Drei-Schluchten-Damm und erklärte den versammelten Arbeitern im Blaumann, China werde seinen eigenen Weg zur technologischen Supermacht gehen. Das Weiße Haus fest im Blick, sagte er: «In der Vergangenheit haben wir den Gürtel enger geschnallt, die Zähne zusammengebissen, Atombomben, Wasserstoffbomben und Satelliten gebaut. Auch beim nächsten Schritt in die Zukunftstechnologie müssen wir alle Illusionen fahren lassen und uns ganz auf uns selbst verlassen.»

Machen wir uns nichts vor: «Made in China 2025» ist auch eine Kampfansage an die westlichen Industrienationen, die Bundesrepublik eingeschlossen. Zwar darf man wohl bezweifeln, dass die Chinesen ihr Ziel bis 2025 erreichen; es wird mit Sicherheit länger dauern. Das räumt sogar Ministerpräsident Li Keqiang ein. Den deutschen Sorgen, dass chinesische Firmen, wenn sie sich erst einmal die fortgeschrittene Technologie angeeignet hätten, über Nacht zu Konkurrenten würden, hielt er beschwichtigend entgegen, die chinesische Fertigung müsse «bis zum Einstieg in die Middle- und High-End-Produktion noch einen recht langen Weg gehen, und zwischen beiden Ländern wird die Komplementarität in Industrie und Technik noch lange Bestand haben». Aber schaffen werden es die Chinesen am Ende. Und dann?

Torsten Benner vom Berliner Global Public Policy Institute mag übertrieben haben mit seiner Aussage: «Wenn ‹Made in China 2025› gelingt, können wir zusammenpacken und nach Hause gehen.» Das Gleiche gilt für die Aussage von Peter Navarro, dem Handelsdirektor im Weißen Haus: «China hat Amerikas Zukunftsindustrien aufs Korn genommen, und Präsident Donald Trump versteht besser als sonst einer, dass Amerika keine wirtschaftliche Zukunft haben wird, wenn China die neu aufsteigenden Industrien erobert.» Doch dürfen wir die Herausforderung auch nicht auf die leichte Schulter nehmen. China ist nicht länger nur ein riesiger Absatzmarkt für uns und ein Produktionsstandort mit unerschöpflichen Kapazitäten, es ist ein mächtiger, potentiell erdrückender Konkurrent geworden.

Auch weltpolitisch strebt China an die Spitze. Die Pekinger Führung will die Größe und Würde der chinesischen Zivilisation wiederherstellen und die Demütigung überwinden, die es nach seiner gewaltsamen Öffnung durch den Westen im Opiumkrieg von 1839–1842 rund hundert Jahre lang hat erfahren müssen. Die fremden Mächte zerstückelten das Reich der Mitte in protektoratsähnliche Einflusszonen und überzogen es – erst die Europäer, dann die Japaner – mehrfach mit Krieg. Sie annektierten riesige Gebiete und entrissen der Staatsverwaltung zentrale Bereiche. Bis 1930 übten sie die Zollhoheit aus; das Seezollamt und das Salzinspektorat standen noch länger unter ausländischer Kontrolle. Erst im Zweiten Weltkrieg wurden die juristische Exterritorialität und andere Sonderprivilegien der Westmächte abgeschafft, und noch lange danach wehte die sowjetische Flagge über Port Arthur. Seine Souveränität hat China erst nach dem Sieg der Kommunisten zurückerlangt. Damit war die schmähliche Epoche vorbei, in der jeder nach Lust und Laune durch die «offene Tür» nach China hineinspazieren konnte. In den Schulen werden den Kindern bis heute die vier Zeichen wuwang guochi eingebläut – «Nie die nationale Erniedrigung vergessen!».

Der britische Autor Tom Miller schrieb 2016 das Buch China’s Asian Dream. Die Chinesen träumten davon, war seine These, ihren historischen Status als Asiens Vormacht wiederherzustellen. Doch seitdem ist klar geworden, dass der Traum von neuer Größe weit über die Grenzen der alten Tribut- und Vasallenstaaten hinausreicht. Staatspräsident Xi Jinping macht überhaupt kein Geheimnis daraus. «Die chinesische Nation erhebt sich mit neuem Selbstbewusstsein im Osten der Weltkugel», verkündete er auf dem 19. Parteitag der chinesischen Kommunisten. Und er wirft nun das ganze wirtschaftliche Gewicht seines Landes in die Waagschalen der Weltpolitik. Sein Führungswille verändert das globale Mächtemuster, er hat Großes vor mit der Volksrepublik. Nicht länger sieht er sie als Regionalmacht, vielmehr will er sie ins «Zentrum der Weltbühne» rücken. Zur mächtigsten Militärmacht will er sie machen, zur größten und führenden Wissenschaftsmacht, zur Innovationsgroßmacht, zur Infrastruktur-Supermacht, zum Anführer im Kampf gegen den ...

Kategorien

Service

Info/Kontakt