Werkstoffkunde und Werkstoffprüfung für Dummies

Werkstoffkunde und Werkstoffprüfung für Dummies

von: Rainer Schwab

Wiley-VCH, 2016

ISBN: 9783527808748

Sprache: Deutsch

488 Seiten, Download: 16505 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Werkstoffkunde und Werkstoffprüfung für Dummies



Kapitel 1

Von Atomen, Bindungen und Kristallen: Werkstoffe sind wunderschön


In diesem Kapitel

Viele Menschen, die ein Stück eines Werkstoffs in Händen halten, können sich gar nicht vorstellen, was es da im Inneren gibt. Meistens meint man, das sei so was Graues, irgendwie Langweiliges, was dann manchmal sogar noch rostet. Aber dass da charaktervolle Atome drin sind, dass die Atome miteinander Bindungen eingehen können, sich die Atome zu wunderschönen Kristallen anordnen, die Kristalle wie wir Menschen Fehler (von bemerkenswerter Ästhetik) aufweisen, dass Werkstoffe sogar verschiedene, sich ändernde Kristallarten haben können und manche Kristalle sogar im Alltag sichtbar sind, ist meist unbekannt.

Aber gemach, schauen Sie sich erst einmal die Atome im Inneren eines Werkstoffs an und erkennen Sie, warum Werkstoffe, wie alle festen Stoffe, Kräfte ertragen und sich elastisch verhalten.

Bindungen zwischen den Atomen, fast wie bei den Menschen


Stellen Sie sich einen Stab aus einem metallischen Werkstoff vor, sagen wir aus Eisen. Er soll etwa 1 cm Durchmesser haben und 20 cm lang sein. Ziehen Sie nun maßvoll an diesem Stab, dann sehen Sie, dass er diese Zugkraft aushalten kann. Was man nun nicht so leicht sieht: Er dehnt sich unter der Wirkung der Zugkraft ein klein wenig. Das ist so ähnlich, als wenn Sie ein Gummiband nehmen und es mit den Händen auseinanderziehen.

Wenn Sie den Stab dann entlasten, federt er wieder in die ursprüngliche Länge zurück, genau wie das Gummiband. Der Unterschied zum Gummiband ist nur, dass die Dehnung unter der Wirkung der Kraft sehr klein und ohne Messgeräte meist nicht feststellbar ist.

Drücken Sie anschließend den Stab maßvoll zusammen, so wird er etwas zusammengestaucht. Auch das kann man mit dem bloßen Auge kaum sehen und muss es mit feinen Instrumenten messen. Nehmen Sie die Druckkraft wieder weg, so federt der Stab wieder in die ursprüngliche Länge zurück.

Dieses Verhalten nennt man elastisch.

So weit, so gut. Jetzt wissen wir natürlich alle, dass der Stab aus Atomen aufgebaut ist. Und wenn Sie an so einem Stab maßvoll ziehen und drücken können, ohne dass er auseinanderbricht oder auf andere Art versagt, dann müssen die Atome im Stab irgendwie in der Lage sein, diese Zug‐ und Druckkräfte aufzunehmen. Wie geht denn das?

Atome im Werkstoff


Um der Geschichte auf die Spur zu kommen, müssen wir die Atome im Werkstoff etwas näher unter die Lupe nehmen. Was sind denn überhaupt Atome? Da gibt es den relativ schweren, positiv geladenen Atomkern, um den die leichten, negativ geladenen Elektronen kreisen, so ähnlich wie Satelliten um die Erde. Halt, sagen da die Physiker und Chemiker. So einfach ist das nicht: Erstens bewegen sich die Elektronen nicht immer auf einer Kreisbahn, zweitens gibt es die Quanteneffekte und drittens dies und viertens das. Und je mehr man versucht, die Atome zu verstehen, und je mehr Fragen man beantwortet hat, desto mehr neue Fragen tauchen auf und desto unklarer wird das mit den Atomen.

Und was machen wir jetzt, die wir versuchen, die Atome im Werkstoff zu begreifen? Wir nehmen hier einfach an, dass die Atome wie ein gut zusammengeballter runder Wattebausch aufgebaut sind. Klar stimmt das nicht, ist sogar grottenfalsch, aber manche Effekte lassen sich damit anschaulich erklären.

Die Bindungskräfte


Jetzt stellen Sie sich bitte vor, Sie wären ein klitzekleiner Gnom, hätten zwei Super‐Nanopinzetten, mit denen Sie sich zwei Eisenatome aus dem gedachten Eisenstab herauspicken können, und hätten die Ehre, auf der internationalen Raumstation unter Schwerelosigkeit und bei Vakuum ein Experiment durchzuführen. Und das geht so:

Mit welchen Kräften ist denn da zu rechnen?

Zunächst einmal werden Sie vermuten, dass da eine abstoßende Kraft wirken muss. Das wäre doch zu erwarten, wenn man die Atome als runde, zusammengeballte Wattebäusche annimmt. Haben die Wattebäusche einen sehr großen Abstand voneinander, so berühren sie sich nicht und es wirkt natürlich auch keine Kraft. Schon bei mittlerem Abstand kann es aber sein, dass sich zwei abstehende Fäserchen berühren und eine kleine abstoßende Kraft zur Folge haben. Bei weiterer Annäherung berühren sich immer mehr abstehende Fasern, die Kraft steigt überproportional an. Und ganz stark wird die abstoßende Kraft ansteigen, wenn sich die Wattebäusche schließlich »massiv« berühren.

So kann man das mit den Wattebäuschen erklären.

  • Etwas wissenschaftlicher formuliert stoßen sich Atome deswegen ab, weil sich die jeweils negativ geladenen Elektronenhüllen nahe kommen und sich gleichnamige Ladungen abstoßen.

Klar, dass man jetzt ein passendes Diagramm braucht, um das darzustellen. In Abbildung 1.1 sind die zwischen zwei Atomen wirkenden Kräfte F in Abhängigkeit vom Atomabstand x aufgetragen. Anziehende Kräfte sind positiv dargestellt, abstoßende negativ. Der Atomabstand x ist der Abstand zwischen den Mittelpunkten der zwei Atome, wie oben rechts im Bild eingezeichnet. Wenn Sie das Diagramm jetzt von rechts nach links lesen, erkennen Sie den beschriebenen Verlauf der abstoßenden Kraft.

Abbildung 1.1: Bindungskräfte zwischen Atomen

Was wäre aber mit unserer Welt los, wenn Atome nur abstoßende Kräfte aufeinander ausüben könnten? Denken Sie an dieser Stelle bitte kurz nach, bevor Sie weiterlesen.

Ja, ein absolutes Horrorszenario wäre das. Es gäbe dann keine festen Stoffe, natürlich auch keine Werkstoffe, nicht mal Flüssigkeiten und uns selbst gäbe es nicht, keine Erde und wer weiß, wie das Weltall aussähe. Es gäbe nur Gase, da nichts die Atome zusammenhielte.

  • Also müssen zwischen Atomen auch erhebliche anziehende Kräfte wirken. Deren Natur kennt man inzwischen ganz gut, insbesondere die Chemiker wissen da bestens Bescheid.

Es können je nach Atomsorte im Wesentlichen

Alles klar? Nein? Wundert mich nicht, das war nur eine kurze Aufzählung, um einen Eindruck zu bekommen. Sie brauchen das für die Werkstoffkunde auch nicht gar so genau zu wissen. Eines ist aber wichtig: Der Verlauf der anziehenden Kraft zwischen zwei Atomen verläuft deutlich »flacher« als der Verlauf der abstoßenden Kraft (siehe Abbildung 1.1).

Die abstoßende und die anziehende Kraft wirken gleichzeitig. Bei großen Atomabständen überwiegt die anziehende Kraft, bei kleinen die abstoßende Kraft, wie Sie auch am Verlauf der resultierenden Kraft sehen. Die resultierende Kraft ist einfach die Summe aus abstoßender und anziehender Kraft.

Das Besondere


Was fällt Ihnen am Verlauf der resultierenden Kraft in Abbildung 1.1 auf? Drei Erscheinungen sind bemerkenswert:

Und das sind die Auswirkungen in der Praxis


Je nachdem, welche Sorte von Atomen in den Werkstoffen vorkommt, können die Bindungen recht unterschiedlich sein. Bei »starken« Bindungen ist die Steigung der resultierenden Kraft bei x0 groß und die maximale Bindungskraft ist sehr hoch. Solche Werkstoffe sind in elastischer Hinsicht sehr starr, sie weisen meist hohe Zugfestigkeiten auf, ihr Schmelzpunkt liegt hoch und ihr Wärmeausdehnungskoeffizient (Wärmeausdehnung pro Grad Celsius) ist gering. Meist ist das erwünscht, beispielsweise beim Leichtbau, wenn man hohe Festigkeit und Steifigkeit braucht.

Und bei Werkstoffen mit »schwachen« Bindungen ist alles umgekehrt, sie sind in elastischer Hinsicht sehr nachgiebig, haben meist keine so hohen Festigkeiten und einen niedrigeren Schmelzpunkt. Auch das kann erwünscht sein, beispielsweise bei Gummidichtungen.

Mehr zum Thema Elastizität, Bindung und Wärmeausdehnung finden Sie in Kapitel 2; wie Sie Zugfestigkeiten messen, erkläre ich in Kapitel 6.

Alles eine Frage der Ordnung: Die wichtigsten Atomanordnungen


Nehmen Sie ruhig einmal Gegenstände aus verschiedenen Werkstoffen des Alltags in die Hand. Vielleicht ein Trinkglas, einen Hammer, eine Schere, einen Löffel, eine Zahnbürste oder was Ihnen sonst noch einfällt. Jetzt stellen Sie sich vor, Sie hätten ein Super‐Elektronenmikroskop und könnten Ihre Gegenstände nach Herzenslust vergrößern und vergrößern und vergrößern. Wenn Sie dann so etwa bei hundertmillionenfacher Vergrößerung angelangt wären, könnten Sie die Atome prima sehen. Ein Eisenatom in der Schere hätte dann einen Durchmesser von etwa 2,5 cm.

Sie könnten dann nicht nur die Atome an sich sehen, sondern auch, wie sie sich im Werkstoff anordnen. Welche grundsätzlichen Möglichkeiten gibt es denn da? Atome in Werkstoffen können entweder völlig regellos angeordnet sein oder schön regelmäßig.

Regellose Anordnung der Atome – es lebe das Chaos


Alle Werkstoffe, in denen die Atome völlig regellos vorliegen, also total durcheinander, ohne jede Ordnung, wie Kartoffeln in einem Sack, werden in der Wissenschaft grundsätzlich Gläser genannt. Man spricht häufig auch von amorphen Werkstoffen; amorph bedeutet »ohne Form, ohne Struktur«. »Glas« bedeutet also nicht, dass man da immer hindurchsehen kann, sondern »Werkstoff mit regelloser Atomanordnung«. Die Wissenschaft...

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