Geschichte und Perspektiven der schweizerischen Raumplanung - Raumplanung als öffentliche Aufgabe und wissenschaftliche Herausforderung

Geschichte und Perspektiven der schweizerischen Raumplanung - Raumplanung als öffentliche Aufgabe und wissenschaftliche Herausforderung

von: Martin Lendi

vdf Hochschulverlag AG, 2018

ISBN: 9783728138682

Sprache: Deutsch

385 Seiten, Download: 1339 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Geschichte und Perspektiven der schweizerischen Raumplanung - Raumplanung als öffentliche Aufgabe und wissenschaftliche Herausforderung



Einleitung – Anspruch, Herantasten

Im 20. Jahrhundert wurde der Lebensraum in Europa, vor allem in den industrialisierten und dem Sektor der Dienstleistungen zuneigenden Staaten, schon früh knapp und laufend knapper. Nicht nur die Bevölkerungszahlen stiegen an, die Wirtschaft zeigte Konjunkturspitzen und auch die Ansprüche an die Infrastruktur, die Mobilität, das Freizeitleben, das Wohnen, an die Arbeitsplätze, an die Bauzonen und die Nutzung von Erholungsräumen usw. wuchsen und wachsen – auch dort, wo die Bevölkerungszahlen zwischenzeitlich kulminieren, teilweise sinken oder auf neuem Hintergrund erneut steigen, stellenweise markant: Engpässe, Knappheiten. Sie riefen nach Haushalten, nach sorgfältigem Umgang mit den Ressourcen, ganz allgemein nach Nachhaltigkeit, nach intergenerationeller Verantwortung, aber auch nach zweckmässigen Dispositionen der Strukturen der Siedlungen, der Landschaften sowie von Transport, Versorgung und Entsorgung, stets aufeinander abgestimmt und zukunftsgerichtet, immer unter Einbezug des Umfeldes von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sowie der Ökologie.

Weil das vergangene Jahrhundert mit gravierenden Einbrüchen – zwei Weltkriege, ein langanhaltender kalter Krieg, fatale und peinliche Substanzeinbussen politischer Kultur, ökologischer Defizite – belastet war und zudem in die Internationalisierung und Globalisierung der Märkte und der Politikverantwortung – exemplarisch von den Nationalstaaten sowie der EG/EU bis zur UNO/WTO – mündete, entwickelte sich das räumliche Bewusstsein nicht linear. Es gab und gibt Hochs und Tiefs, es kommt immer wieder zu neuen Herausforderungen. Die räumliche Entwicklung stand und steht nie still; die Raumplanung darf ihrerseits nicht statisch werden, selbst wenn sie verstetigt. Wir haben es also mit einer bewegten Geschichte zu tun. Die Zukunft ist ihrerseits nicht als Trendfortschreibung zu erklären. Ungewissheiten dominieren. Sie herrschen auch morgen vor. Aber die bisherigen Erfahrungen zu erfassen, ist dennoch nicht unwichtig, weil sie die Spannungsverhältnisse sichtbar machen, in denen die Planung als Auseinandersetzung mit den anstehenden, aufkommenden Problemen steht und weil sie die Möglichkeiten und Grenzen des Fassbaren illustrieren.

Die Geschichte der schweizerischen Raumplanung – Raumplanung verstanden als zielorientierter, ordnender und gestaltender Umgang mit dem Geschehen im Lebensraum, unter Einbezug der denkbaren und absehbaren Folgewirkungen – spiegelt vor allem die im 20. Jahrhundert sich konzentriert ergebenden Auswirkungen von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft auf die Schweiz samt den laufenden Veränderungen als Wirkungen und als Neuinitiierungen. Gleichzeitig werden die prägenden Erkenntnisse der Wissenschaften und die Effekte der eingeleiteten Massnahmen erkennbar, alles angesichts einer nur schwer zu entwirrenden Problemfülle und -dichte. Der Schritt in die Geschichte ist also nicht nur relevant für das Selbstverständnis der Raumplanung und deren Gelingen oder Misslingen, sondern auch für das Verstehen der Problemmeisterungen durch die öffentliche Hand, konkret in einem demokratischen, föderativen und sozialen Rechtsstaat. Damit dringt die Darstellung der hiesigen Vorkommnisse auch ins Interessenfeld europäischer Staaten vor, vorweg jener, die sich als Rechtsund Bundesstaaten und als Demokratien verstehen sowie Raumplanung als Knappheitsmeisterung und Gestaltungsverpflichtung unter den Bedingungen einer offenen Gesellschaft interpretieren.

Die eidgenössische Geschichte der Raumplanung unterscheidet sich übrigens von jener verwandter Staaten durch die spezifischen politischen und kulturellen Eigenschaften von der Referendumsdemokratie bis zur Sprachenkultur. Zu betonen sind auch die selbstständigen Akzentsetzungen rund um und während des Zweiten Weltkrieges, bei durchaus vorhandenen Mängeln. Die Raumplanung nannte sich damals in der Schweiz auch nicht Raumplanung, sondern Orts-, Regional- und Landesplanung, direkt ausgerichtet auf den föderativen, dreistufig strukturierten Staat Schweiz, gleichsam in eigener Terminologie.

Als in der Schweiz der Verfassungsartikel über die Raumplanung am 14. September 1969 erlassen wurde, das Bundesgesetz über die Raumplanung (RPG) vor dem Inkrafttreten stand (erlassen am 22. Juni 1979), auf Bundesebene die ersten Erfahrungen mit der Raumplanung zwischen 1972 und 1979 gesammelt waren und die meisten der Kantone die Aufgabe der Raumplanung zwischen 1970 und 1979 neu gesetzlich unterlegt hatten, war erstmals der Zeitpunkt gekommen, auf die ältere und jüngere Geschichte der Raumplanung zurückzuschauen. Dies führte zu einem Buch mit Dokumenten der Geschichte der schweizerischen Raumplanung, ein Werk, das von Ernst Winkler, em. Professor für Geografie an der ETH Zürich, Leiter der ersten Zentrale für Orts-, Regional- und Landesplanung und Mitglied der Leitung des späteren ORL-Instituts, angeregt, von Gabriela Winkler, dipl. sc. nat. ETH Zürich, umsichtig bearbeitet und von mir, Prof. für Rechtswissenschaft ETH Zürich, damals Mitglied der Leitung des ORL-Instituts, organisiert, betreut und zu Ende geführt worden ist. Es bildet die Nr. 1 der damaligen Schriftenreihe des ORL-Instituts zur Orts-, Regional- und Landesplanung, die für dieses Thema reserviert worden war, auch wenn die Publikation erst 1979 reif wurde. Zeitlich vorausgegangen waren gleich mehrere andere Werke, so die Landesplanerischen Leitbilder in drei Bänden plus die Plankassette im Jahre 1971 der gleichen Schriftenreihe.

Viele der aktiven Raumplaner zeigten damals wenig Verständnis für das Befassen mit der Geschichte der Raumplanung. Sie setzten einseitig auf die Zukunft. Das Gewordene war aber institutionell und personell präsent, einerseits durch den Delegierten für Raumplanung, den früheren Direktor des ORL-Instituts Martin Rotach, ab 1972, anderseits durch Ernst Winkler, der die Geschichte gleichsam zurück in die Zeit des Zweiten Weltkrieges in seiner Person verkörperte, wie auch durch zahlreiche Pioniere der Raumplanung. Die Namen von Max Werner und Hans Marti dienen als Beispiele. Die ersten Planer zu befragen und sie einzuladen, ihre Erfahrungen mitzuteilen, drängte sich auf. Dies gelang nur teilweise. Immerhin konnten die wichtigsten Grundlagen vorgestellt und die verfügbaren Biografien in Kurzform in den Zusammenhang eines Grundrisses der Geschichte der Raumplanung gerückt werden: Im erwähnten Band Dokumente zur Geschichte der schweizerischen Landesplanung wurden sie – gerafft – veröffentlicht. Auch wurden Tagungen zur Geschichte der Raumplanung veranstaltet.Die Zeitschrift DISP1 legt davon Zeugnis ab. Gleich im Anschluss an den Dokumentenband wurde eine Chronik der schweizerischen Landesplanung von Ueli Roth, Planer in Zürich, früher wissenschaftlicher Mitarbeiter von Walter Custer, Professor für Architektur an der ETH Zürich, der die Lehre in Orts- Regional- und Landesplanung für die Architekturstudenten mitgeprägt hatte, neu lanciert, ergänzt, verfeinert und als gedruckte Beilage der DISP Nr. 56 (Zürich 1980) publiziert.

Mit der Verfügbarkeit dieser Grundlagen setzte das vertiefte Nachdenken über das Werden der schweizerischen Raumplanung ein. Im Verlauf der Jahre ergaben sich mehrere Gelegenheiten zum Eindenken, stets verbunden mit Ausblicken, wie dies für die Raumplanung als Planung sinnvoll ist. Persönliche und berufliche Kontakte, sogar aus der Zeit vor der Wahl an die ETH, nämlich zu Max Werner, Otto Glaus, Ruedi Stüdeli, Willi Rohner, Ernst Winkler, Martin Rotach und vielen anderen mehr, erleichterten dem Autor den Zutritt. Nach meinem Rücktritt aus der Leitung des damaligen ORL-Institutes (1987) nahm sich vor allem Michael Koch als Leiter der Dokumentationsstelle DISP am ORL-Institut der Geschichte der Raumplanung an, in stetem Kontakt mit mir. Er ist heute Professor in Hamburg und auf dem Platz Zürich als Autor und Planer aktiv. Er steuerte ein originäres, sensibles Flair für die Geschichte des Städtebaus und der Stadtplanung bei. Aktuell betreut Martina Koll-Schretzenmayr vom NSL und als Redaktorin der Zeitschrift DISP die Aspekte der Geschichte der schweizerischen Raumplanung. Sie zeichnet auch für das Weiterführen der Zeitzeugenbefragungen verantwortlich.

Nach der Jahrtausendwende wurde erneut bewusst, wie schwierig es werden könnte, das Material zu einer vertieften Darstellung der Geschichte der schweizerischen Raumplanung griffbereit zu halten. Nur noch wenige Personen konnten die kritischen Zusammenhänge aus eigenem Miterleben aufarbeiten. Peter Keller, dipl. Arch. ETH/NDS Raumplanung ETH Zürich und damals Leiter des Nachdiplomstudiums in Raumplanung der ETH Zürich, sowie Martina Koll-Schretzenmayr nahmen sich der erneut dringend werdenden Aufgabe an. Sie führten weitere Interviews mit älter gewordenen Zeitzeugen durch. Auch veranlassten sie Gesprächsaufnahmen mit Gruppierungen von Personen am Institut für Zeitgeschichte der ETH Zürich. Martina Koll-Schretzenmayr hat dazu eine eigene Publikation in Buchform mit dem Titel Gelungen – misslungen? (Zürich 2009) niedergeschrieben. Zusammen mit den NDS-Studierenden widmeten sie sich wiederkehrend, während jeweils mehreren Tagen, dem Thema der Geschichte der Raumplanung. Der Autor steuerte gleich beim ersten Anlass einen grösseren schriftlichen Text bei, der in der Zeitschrift DISP unter dem Titel Zur Geschichte der schweizerischen Raumplanung publiziert wurde (DISP Nr. 167, Bd. 4, Zürich 2006, S. 66 ff.). Parallel setzte die Arbeit an Biografien ein, unter denen jene über Hans Marti, Stadtplaner von Zürich und Inhaber eines Planungsbüros mit Akzenten auf der örtlichen Planung, von besonderer Bedeutung ist. Zu Max Werner, Otto Glaus,...

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