Schmetterlinge - Warum sie verschwinden und was das für uns bedeutet

Schmetterlinge - Warum sie verschwinden und was das für uns bedeutet

von: Josef H. Reichholf

Carl Hanser Verlag München, 2018

ISBN: 9783446261471

Sprache: Deutsch

256 Seiten, Download: 7624 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Schmetterlinge - Warum sie verschwinden und was das für uns bedeutet



 

 

Das bezaubernde Leben der Wasserschmetterlinge

 

Doch vorerst interessierte ich mich noch mehr für die Wasservögel. Die Ergebnisse meiner sechsjährigen Untersuchungen zu ihrem Vorkommen und ihrer Häufigkeit an den Stauseen am unteren Inn fasste ich kurz nach Beginn meines Zoologiestudiums zusammen und veröffentlichte sie. Die Arbeit wurde mir vom Zoologischen Institut formal als Zulassungsarbeit zur Staatsprüfung anerkannt. Daher konnte ich mich bereits wenige Semester nach Studiumsbeginn auf die Suche nach einer passenden Doktorarbeit machen. Eine Freilandforschung sollte es werden; am liebsten wäre mir eine Vertiefung meiner Wasservogelstudien gewesen. Doch der Dozent, an den ich mich wandte, meinte, ich solle mir so eine große Forschungsarbeit für die Zeit nach dem Doktorat aufbewahren und besser ein Thema bearbeiten, das auch Physiologie enthält. Von den drei Vorschlägen, die er mir gab, gefielen mir die Wasserschmetterlinge am besten. Ihr seltsames Leben hat tatsächlich viel mit Physiologie, mit der Physiologie der Atmung unter Wasser und den damit verbundenen Hautstrukturen der Raupen, zu tun.

Als spezielle Art wählte ich den Seerosenzünsler. Diesem kleinen zarten Schmetterling verdanke ich es, dass ich 1969 zum Dr. rer. nat. an der Ludwig-Maximilians-Universität München promoviert wurde. Einen Doktortitel gibt es für die unterschiedlichsten Forschungen, für reichlich obskure Themen mitunter, deren Sinnhaftigkeit nicht immer gleich von jedem verstanden wird. Mag sein, dass meine Doktorarbeit »Untersuchungen zur Biologie des Wasserschmetterlings Nymphula nymphaeata« auch in diese Kategorie fällt. 1970 wurde sie in der »Internationalen Revue der gesamten Hydrobiologie«, Band 55 (Seiten 687–728) veröffentlicht. Dass es darin um die Lebensweise eines Wasserschmetterlings mit dem (frei übersetzt) sehr hübschen wissenschaftlichen Namen »Kleine Nymphe der Seerosen« ging, lässt sich dem Titel entnehmen. Was aber wirklich in dieser »Biologie« steckt, bedarf einer näheren Schilderung.

Noch immer begeistern mich der zarte Schmetterling und seine nähere Verwandtschaft so sehr, dass mein Herz spürbar schneller schlägt, wenn ich wieder einmal einen von ihnen erblicke oder Neues zu ihrer Lebensweise herausbekomme. Tatsächlich geschieht dies, auch wenn schon so viel Zeit seit meiner Dissertation vergangen ist. In solchen Momenten denke ich, was für ein Glück ich doch gehabt habe mit der Wahl des Doktorarbeitsthemas. Die Kleinen Nymphen der Seerosen prägten mich zum Freilandbiologen, der viel lieber draußen in der Natur als drinnen im Labor forscht. Sie hielten mein wissenschaftliches Streben offen für die Schönheiten, für das Wunder des Lebendigen. Als »Objekte«, als lediglich wissenschaftlich ergiebigen Forschungsgegenstand, hatte ich die kleinen Schmetterlinge nie ansehen oder behandeln können. Ihre Lebendigkeit fesselte mich.

Wie freute ich mich, wenn die kleinen Falter, die ich zum Beobachten daheim in einem Flugkäfig hielt, von meiner Fingerspitze ein Tröpfchen leicht gesüßten Wassers tranken. Danach machten sie immer einen leicht verwirrten Eindruck und suchten mit ihren Rüsseln umher. Was ich ihnen im Käfig mittels einer flachen Wasserschale an Pflanzen aus ihrem natürlichen Lebensraum der Ufer von Kleingewässern angeboten hatte, sagte ihnen offenbar nicht zu. So eingeschlossen, veränderte sich ihr Verhalten, das ich doch erforschen wollte, wahrscheinlich ziemlich stark. Die Raupen der Wasserschmetterlinge ließen sich in kleinen Aquarien leicht halten. Ihr Leben ist ganz auf Nahrungsaufnahme eingestellt. Und auf die regelmäßige Häutung, die sie für das Weiterwachsen nötig haben. Im Fressstadium stellen sie keine besonderen Ansprüche, außer dass sie das richtige Futter in Form der Blätter von Schwimmblattpflanzen bekommen. Selbst an dieses sind sie gar nicht so eng gebunden, wie das aus der bereits vorhandenen Fachliteratur hervorging. Die Entwicklung der Raupen aus den Eiern bis zur Verpuppung und das Schlüpfen der Falter hätte ich also durchaus direkt an meinem Arbeitsplatz im Zoologischen Institut der Universität München mitverfolgen können. Nicht aber das Leben der Falter.

 

 

Nymphula nymphaeata, am Ufer ruhendes Männchen, vor 50 Jahren während meiner Freilandforschungen zur Doktorarbeit fotografiert

 

Doch ich hatte Glück. An die Geheimnisse ihres Lebens kam ich auf andere und viel bessere Weise. Zwar hatte ich »meinen« Wasserschmetterling zuerst im Botanischen Garten in München gefunden, wo die Raupen die Schwimmblätter kleiner (und seltener) Seerosen zerfraßen. Daher waren sie bei den Gärtnern nicht gerade beliebt. Deren Erwartung, dass ich sie mit meinen Forschungen von diesen Schädlingen befreien würde, erfüllte ich nicht, weil ich bald natürliche Vorkommen in der Umgebung meines Heimatortes im niederbayerischen Inntal fand. Die Seerosenzünsler, wie sie in der nüchternen Fachsprache genannt werden, gab es in aufgelassenen, sogar als Müllabladeplätze missbrauchten kleinen Kiesgruben und in Altwassern im Auwald am Inn. Diese Vorkommen konnte ich von zu Hause aus zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichen. Als ich dort an schönen Frühsommerabenden mit der Beobachtung der Seerosenzünsler anfing, fühlte ich mich großartig. Zu Beginn der Dämmerung fingen die Männchen mit ihren Suchflügen an. Ein erster, im Abendlicht gut erkennbar elfenbeinfarbener Falter tänzelte aus dem Uferröhricht hervor und flog wie umherirrend zwei bis drei Handbreit hoch über der Wasseroberfläche. Kaum war er draußen, folgten aus dem Röhricht weitere, Dutzende. Im aufsteigenden Dunst, der sich ganz langsam zum Nebel verdichtete, tanzten sie in einer nicht nachvollziehbaren Choreographie. Nymphula, Kleine Nymphe. Welch passender Name, dachte ich, noch nicht ahnend, dass mich noch viel Aufregenderes erwartete.

 

 

Abends am Tümpel


 

Die Wasserfrösche beendeten ihr Gequake, das bei Sonnenuntergang als vielstimmiger Chor einen letzten lautstarken Höhepunkt erreicht hatte und die Wasseroberfläche des Tümpels in der Kiesgrube erzittern ließ. Jetzt brach eigentlich die Tageszeit der Laubfrösche an. Aber nur einer presste kurz ein »äp, äp, äp« aus seiner Kehle und schwieg sodann. Für die Laubfrösche war es bereits zu spät im Jahr. Ihre Konzerte geben sie im April oder Anfang Mai. Den Abfallhaufen an der Böschung untersuchten jetzt Ratten. Sie huschten über Bauschutt und Hausmüll, den sie nach Fressbarem durchsuchten. Für Momente lenkten sie mich vom Beobachten der Wasserschmetterlinge ab. Bei der Betrachtung durchs lichtstarke Fernglas sah ich, dass es Wanderratten aller Größen waren. Wahre Riesen, wie es mir schien, waren dabei. Für Katzen wären sie lebensgefährliche Gegner gewesen. Aber es gab auch kleine, die mit ihren Müttern herumsuchten, zu denen sie erkennbar engen Kontakt hielten. Als ein zitternder Schatten durchs Blickfeld des Fernglases flog, bemerkte ich erst, dass mich auch Fledermäuse umschwirrten. Sie fingen Wasserinsekten über dem Tümpel. Die Abenddämmerung ist Schwärmzeit von Köcherfliegen und Eintagsfliegen. Überall erhoben sie sich in die Luft als ich mit dem gebündelten Strahl meiner Taschenlampe umherleuchtete. Die späte Dämmerung ging in die Dunkelheit über. Ich hatte die Lampe mitgenommen, um zu sehen, wie lange die Wasserschmetterlinge flogen. Anscheinend reichte ihr Flug nicht sehr weit in die Nacht hinein, denn schon im letzten Tageslicht wurden es deutlich weniger, die ich über der Wasseroberfläche erkannte.

Die Falter zogen sich zurück ans Ufer. Aus kurzem Schwirrflug heraus landeten sie an den Stängeln der Pflanzen und rührten sich nicht mehr. Vielleicht war es ihnen zu kühl geworden, dachte ich, und spürte nun selbst die feuchtfrische Kühle der Frühsommernacht. Ich würde also, diesen ersten Eindrücken zufolge, die Abnahme von Helligkeit und Temperatur messen müssen. Mit dem damals, in den 1960er Jahren, noch nötigen Belichtungsmesser zur richtigen Einstellung der Blende am Fotoapparat sollte das für die Helligkeitsabnahme gehen. Bei der Lufttemperatur würde es nicht so einfach werden, wie ich bei Messversuchen mit einem Laborthermometer schnell einsah, denn es zeigte recht unterschiedliche Temperaturen an, je nachdem, wie nahe am Wasserspiegel und am Röhricht ich maß und ob ich das Thermometer weit genug von meinem Körper entfernt gehalten hatte. Von den heutigen Präzisionsmessungen der Temperaturen war man vor einem halben Jahrhundert bei Geländearbeiten noch weit entfernt. Auch das Zählen der fliegenden Schmetterlinge gestaltete sich, zurückhaltend ausgedrückt, ziemlich problematisch. So erratisch schwirrten sie über dem Wasserspiegel umher und am Röhrichtrand entlang. Mit schwächer werdendem Abendlicht wurden es mehr und mehr, dann weniger. Rasch nacheinander wiederholte Zählversuche ergaben peinlich unterschiedliche Zahlen. Meine Euphorie, so zu Daten für eine interessante Doktorarbeit über diese zauberhaften Schmetterlinge zu gelangen, wich in den nächsten Abenden, die ich an den Tümpeln verbrachte, der aufkommenden Sorge, ob ich genügend gute und auch hinreichend neuartige Befunde bekommen würde, dass sie für eine Dissertation reichten. Zweifellos war es doch nötig, die Raupen mit den Wasserpflanzen, an denen sie fraßen, in Aquarien zu halten. Die Flugkäfige für die geschlüpften Falter mussten verbessert und naturnäher gestaltet werden. Denn selbstverständlich war draußen an den Tümpeln nicht jeder Abend zum Beobachten ideal.

Rasch zeigte sich, dass auch unter den günstigen Bedingungen, die Tümpel mit den Wasserschmetterlingen fast vor der Haustüre zu haben, Forschungen im Freiland mit dem Wetter und mit nicht...

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