Rehragout-Rendezvous - Der elfte Fall für den Eberhofer - Ein Provinzkrimi

Rehragout-Rendezvous - Der elfte Fall für den Eberhofer - Ein Provinzkrimi

von: Rita Falk

dtv Deutscher Taschenbuch Verlag, 2021

ISBN: 9783423437530

Sprache: Deutsch

304 Seiten, Download: 1348 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Rehragout-Rendezvous - Der elfte Fall für den Eberhofer - Ein Provinzkrimi



Kapitel 1


»Es wird schon bald dumpa, es wird schon bald Nacht«, singen wir. Alle.

Nicht, dass wir anderen da so scharf drauf wären. Das nicht. Aber die Susi will es so. Bei ihr daheim, da hätten sie auch immer gemeinsam gesungen am Heiligen Abend. Was ganz bestimmt ganz großartig gewesen ist, immer vorausgesetzt freilich, dass ihre Verwandtschaft auch so schön gesungen hat, wie es die Susi jetzt tut. Bei uns Eberhofers ist das aber leider anders. Weil da kann keiner singen. Nicht die Bohne. Und ich schon gleich gar nicht. Also so was wie AC/DC ›Highway to hell‹ oder ›TNT‹, das freilich schon. Grad so mit zwei oder drei Halben intus. Aber halt keine Weihnachtslieder. Noch nicht mal mit Alkohol. Ganz im Gegenteil. Was wir hier so von uns geben, das erinnert viel eher an einen Walgesang oder so was in der Art. An einen Walgesang von sterbenden Walen freilich.

 

Die Susi freut sich trotzdem. Die Oma freut sich auch, was aber weiter kein Wunder ist. Weil sie die schiefen Töne ja gar nicht erst hören kann, die nun aus unseren Kehlen kommen. Ja, offenbar hat es durchaus seine Vorteile, wenn einem die Lauscher rein altersbedingt den Dienst quittieren. Im Grunde aber glaub ich eh, dass sie sich gar nicht so wegen der ganzen Singerei freut, die Oma. Sondern viel eher wegen der aktuellen, kollektiven Gemütlichkeit und dem ganzen weihnachtlichen Brimborium. Und weil halt auch fast jeder da ist, der ihr so am Herzen liegt.

Ganz offensichtlich freut sich auch der Papa, der jedoch wohl weniger wegen der kollektiven Gemütlichkeit oder dem ganzen Singsang, sondern viel eher wegen dem Joint, den er zuvor noch gemütlich im Hof draußen durchgezogen hat. Also praktisch da, wo er auf das Christkind gewartet hat. Oder vielleicht eher so: Wie die anderen in der Küche auf das Christkind gewartet und Plätzchen gefuttert haben und der Papa, der Leopold und ich die zahllosen Geschenke von meinem Saustall aus rüber ins Wohnzimmer geschleppt und dort schließlich unter den Christbaum gelegt haben. Topsecret-Aktion sozusagen. Ja, da muss man neuerdings vorsichtig sein. Unsere Kinder, die sind nämlich schlau. Und schon beim vorigen Weihnachtsfest war eine große Diskussion darüber entbrannt, also über das Christkind praktisch. Weil meine Nichte, die Sushi, unserem kleinen Paulchen weismachen wollte, dass es gar kein Christkind gibt. Stattdessen würden Eltern, Großeltern und der Rest der Sippschaft in der Vorweihnachtszeit durch die Geschäfte hetzen und irgendwelche sinnlosen Geschenke kaufen, die zuvor arme Kinder in unterentwickelten Ländern und unter fürchterlichen Umständen für ein paar Cent pro Tag herstellen mussten. So hat sie das erzählt, die Sushi, und war dabei deutlich ausführlicher, als ich es nun bin. Hinterher war er dann todtraurig, der kleine Paul, und hat sich nicht im Geringsten über den elektrischen Bulldog mit Schaltgetriebe, Handbremse und Schneepflug gefreut. Zumindest am Anfang nicht. Erst am nächsten Tag, wie es dann zu schneien angefangen hat, da hat er dann stundenlang und mit feuerroten Backen unseren ganzen Hof gepflügt. So lange, bis nicht das kleinste Funzelchen vom Schnee mehr übrig war. Und auch kein Kies. Aber wurst. Vermutlich ist es auch gar nicht so schlimm, wenn die Kinder nicht mehr ans Christkind glauben, sondern wissen, woher die ganzen Sachen in Wirklichkeit kommen. Wenn ich da nur an den Leopold denk! Was ist der doch enttäuscht gewesen, wo er im Firmunterricht, also erst mit fuchzehn Jahren, überhaupt davon erfahren hat.

 

Apropos Leopold. Der ist so gar nicht entspannt heut. Nicht beim Singen zuvor und auch nicht jetzt beim Abendessen. Die Oma hat uns ein Ganserl gebraten mit Knödel und Blaukraut, so wie sie es jedes Jahr tut, und der Duft hat sich längst in alle Ritzen der Räume verteilt. Erwartungsgemäß schmeckt es einfach göttlich und dementsprechend hau ich auch rein. Und weil mir der Leopold praktisch direkt visavis hockt, fällt mir freilich auf, wie lustlos er in seinem Teller rumstochert. Vielleicht liegt’s ja daran, dass er seine Frau, die Panida, mitsamt den gemeinsamen zwei Kindern heute Vormittag zum Flughafen nach München hat bringen müssen. München–Bangkok, quasi. Weil halt auch seine Schwiegereltern ein Anrecht darauf haben, einmal im Jahr ihre Enkel zu sehen. Kann man doch auch irgendwie verstehen, oder etwa nicht? Dass es ausgerechnet an Weihnachten sein muss, das ist halt scheiße. Liegt aber daran, dass diese Reise wegen Schulpflicht nur in den Ferien möglich ist und die Panida die ganzen letzten Ferien dazu genutzt hat, ihr neues Haus einzurichten. Drum eben Weihnachten und drum eben wohl auch ein trauriger Leopold.

»Mensch, Leopold, die kommen doch wieder«, sag ich ein bisschen aufmunternd und schieb mir ein Stück Knödel in den Mund. Die Soße ist einfach der Wahnsinn.

»Du hast gut reden, Bruderherz«, antwortet er mürrisch. »Immerhin sind deine Susi und dein Paul ja hier.« Dabei betont er das »dein« jedes Mal so theatralisch, dass es mir fast den Knödel hochwürgt. Der Papa legt seine Hand auf den Arm vom Leopold. Jetzt würgt’s mich tatsächlich.

»Ich bin auch traurig, dass die Sushi nicht da ist«, murmelt nun der Paul in seinen Teller.

»Ja«, pflichtet die Susi jetzt bei und schnauft ganz tief durch. »Wir sind alle traurig, Spatzilein.«

»Was für ein schöner Abend«, sagt dann die Oma, klatscht in die Hände und strahlt begeistert in die Runde. »Jetzt machen wir gleich die Geschenke auf, gell, Paulchen?«

»Haben die Geschenke denn wieder die armen Kinder aus China machen müssen?«, fragt der Paul und spitzt seine Ohren.

»Nein«, sag ich und schenk mir ein Bier nach. »Auf keinen Fall die armen Kinder aus China. Indonesien oder Indien, oder so was vielleicht. Aber definitiv nicht die armen Kinder aus China.«

Die Susi verdreht die Augen.

»Du solltest dich darüber nicht lustig machen, Franz«, brummt der Leopold aus seiner Depression heraus. »Der Paul hat ein Recht auf die Wahrheit, selbst wenn sie vielleicht nicht so angenehm ist und auch nicht so gut zu Weihnachten passt. Doch ich denke, man kann gar nicht früh genug damit anfangen, den Kindern die Wahrheit zu sagen. Auch, wie ich finde, über den Zerfall unseres Planeten. Denn schließlich und endlich ist es ihre Zukunft, die wir hier grad zerstören.«

»Alles klar, Greta«, brumm ich retour. »Allerdings ist es nicht meine Familie, die grad durch Tausende von Flugkilometern düst und unsere Umwelt verpestet, sondern die deine.«

 

Hinterher, wie wir dann die Geschenke auspacken, da ist die Stimmung aber schon wieder ziemlich entspannt, wofür möglicherweise auch das eine oder andere Verdauungsschnapserl verantwortlich sein mag. Und eigentlich muss ich sagen, dass ich heuer ziemlich gut abgesahnt hab. So rein geschenktechnisch. Beispielsweise hab ich selbst gestrickte Socken gekriegt von der Oma. Einen Gutschein für die Metzgerei meines Vertrauens von der Susi. Und, ganz astrein, ein Tragerl Augustiner vom Papa. Was eigentlich nur ein halbes ist, weil er die andere Hälfte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit selber säuft. Aber einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul. Selbst wenn es nur ein halber ist.

 

Irgendwann schläft der Paul inmitten seiner sich hüfthoch stapelnden und pädagogisch völlig sinnlosen Weihnachtsgeschenke ein, und die Susi klaubt ihn vom Boden auf, um ihn ins Bett zu bringen. Ich glaube, sie torkelt ein wenig. Durch die Ruhe, die nun einkehrt, merk ich, wie mir die Regensburger Domspatzen mit ihren schmalzigen Weihnachtsliedern tierisch auf die Eier gehen. Diese Schallplatte, die haben wir, seit ich denken kann. Und wir hören sie jedes Weihnachtsfest wieder und wieder und wieder – und immer wieder aufs Neue. Einer dieser Knaben singt ein Solo und er singt es so hoch, dass es dir durch Mark und Bein geht und du dir nichts sehnlicher wünschst, als möge er doch endlich in den Stimmbruch kommen. Und ich frag mich im jährlichen Rhythmus, ob ich denn der Einzige bin, der diese Platte hasst. Wahrscheinlich hab ich sie schon damals gehasst, als ich selbst noch ein Kind war. Damals, wie der Leopold und ich ganz klein waren, noch echte Kerzen am Baum gebrannt haben und jeder von uns nur ein einziges Geschenk abgekriegt hat. Und der Leopold immer viel lieber das meinige wollte. Dann hat er einen Nervenzusammenbruch gekriegt, der kleine Trottel. Jedes und jedes Jahr wieder. Und ich hab mich gefreut. Also nicht so offensichtlich logischerweise, mehr so in mich rein.

 

In einem Jahr beispielsweise, ich weiß es wirklich noch wie heute, da haben wir beide nagelneue Rollschuhe bekommen. Mit Sicherheit waren wir damals ohnehin die Allerersten im ganzen Dorf, die überhaupt welche hatten. Aber wurst. Meine jedenfalls waren marsgrün mit neongelben Schuhbändern und somit unheimlich cool. Dem Leopold seine waren irgendwie hellblau, und vermutlich war schon allein die Farbe für einen weiteren seiner berühmten Weinkrämpfe verantwortlich. Plötzlich und wie aus heiterem Himmel heraus hat er mir dann einen davon mit so einer Wucht an den Schädel geworfen, dass das Blut gespritzt ist. Wir haben dann auch gleich ins Krankenhaus müssen, und dort bin ich mit sieben Stichen genäht worden. Geweint hab ich nicht, obwohl es echt tierisch wehgetan hat. Keine einzige Träne. Aber die ganze Zeit über hab ich den Leopold beobachtet, wie er mich beobachtet. Am Ende, da hat mir der Herr Doktor eine Urkunde in die Hand gedrückt. »Für den tapfersten Patienten auf der ganzen Welt« ist da draufgestanden. Der Leopold, der hat auch unbedingt eine haben wollen, hat aber freilich keine gekriegt. Wie auf Kommando sind ihm wieder die Tränen in die Augen geschossen. Die Oma hat gesagt,...

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