Die Dorfärztin - Wege der Veränderung - Roman

Die Dorfärztin - Wege der Veränderung - Roman

von: Julie Peters

Aufbau Verlag, 2021

ISBN: 9783841218902

Sprache: Deutsch

384 Seiten, Download: 1845 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Die Dorfärztin - Wege der Veränderung - Roman



Prolog


Januar 1924

Die Tür knallte zu. Zwei Stockwerke polterten die Schritte nach unten, ehe sie auf den Stufen verhallten. Das Letzte, was sie von ihm hörte, war die Haustür, die unten ins Schloss rumste.

»Matthias!«, rief Leni, obwohl sie wusste, dass er sie nicht mehr hören konnte.

Sie stand in der offenen Wohnungstür. Die Kälte zog in die Wohnung. Eine Etage tiefer hörte sie eine Tür aufgehen. »Was soll der Lärm? Hier wollen Leute schlafen, verdammt noch mal!«

»Entschuldigen Sie, Herr Heinemann«, rief Leni nach unten. Sie trat wieder in den kleinen Wohnungsflur und nahm ihren Wintermantel von der Garderobe. In der Wohnung war alles still. Rasch schlüpfte Leni in die gefütterten Stiefel, die ihr so gut passten.

»Verdammt, Matthias«, murmelte sie. Die Stiefel hatte er ihr zu Weihnachten geschenkt. Er hatte sie in seiner spärlich bemessenen Freizeit abends in seiner kleinen Werkstattecke gefertigt, weil sie in gekauften Stiefeln immer auf speziell gefertigte Einlagen angewiesen war. Diese hier saßen perfekt, auch wenn sie bisher selten Gelegenheit gehabt hatte, sie zu tragen. Dass sie ausgerechnet heute eine längere Strecke laufen würde, weil sie ihm nachlaufen musste, war fast schon ironisch.

Sie schlang den Schal um den Hals, griff nach ihrer Handtasche und hatte schon den Schlüssel in der Hand, als sie aus dem Schlafzimmer ein Geräusch hörte. Vielleicht bildete sie es sich auch nur ein. Sie lauschte.

»Schlaf weiter, Marie«, flüsterte sie. »Ich bin gleich wieder da. Muss doch nur deinen Papa zurückholen …«

So ein dummer Streit. Ein unnötiger, blöder Streit. Sie ärgerte sich. Über sich selbst, weil sie nicht früher aufgehört hatte. Weil sie immer weitermachte, als Matthias sie schon anschrie. »Hör auf!«, brüllte er, weil er ihre Vorwürfe nicht ertrug. Aber sie ertrug genauso wenig, wie er ihr Vorhaltungen machte, wie seine Eifersucht sich wie ein Keil zwischen sie trieb.

Sie waren der Situation nicht gewachsen. Beide waren übermüdet, von durchwachten Nächten und der Arbeit tagsüber. »Du sitzt ja nur im Hörsaal!«, hatte er gezischt.

»Das ist auch anstrengend!«, hatte sie widersprochen. Wie sollte sie ihm nur begreiflich machen, dass ihr Medizinstudium sie jede wache Minute begleitete, unabhängig davon, ob sie Wäsche machte, das Abendessen kochte oder das Baby herumtrug, das von den Zähnchen oder Bauchweh geplagt wurde?

»So habe ich mir das jedenfalls nicht vorgestellt«, hatte er gegrollt.

»Was meinst du?«

Sie waren im Wohnzimmer gewesen, und beide flüsterten, denn nebenan schlief das Baby in der Wiege. Leni saß an ihrem kleinen Tisch in der Ecke, an dem sie ihre Lehrbücher ausgebreitet hatte. Sie wusste, auch die waren Matthias inzwischen ein Dorn im Auge, weil sie nicht mehr alles wegräumte, wenn sie mit dem Lernen fertig war. Er verstand nicht, dass selbst das zu viel Energie kostete – abends alles wegräumen und morgens wieder hervorkramen.

»Wir hätten Marie dort lassen sollen, wo sie glücklich war.«

Leni erstarrte. »Aber sie ist unser Kind.«

»Und du hast für sie eine Entscheidung getroffen.«

»Weil ich mir damals nicht anders zu helfen wusste, verdammt noch mal!«

Jetzt schrie sie fast.

Matthias aber starrte sie nur müde an.

»Ich habe mich nicht immer wieder mitten in der Nacht aus dem Staub gemacht. Ich habe dich nie im Stich gelassen. Aber für dich war ja immer anderes wichtiger. Die Politik. Deine Leute. Deine Arbeit. An mich hast du nie gedacht.«

»Das ist nicht wahr«, sagte er dumpf.

Aber Leni konnte es nicht lassen. In ihr hatte sich in den vergangenen Monaten so viel Wut angestaut. So viel Verzweiflung und Erschöpfung, weil sie versuchte, allen gerecht zu werden und ihren Traum dabei nicht aus den Augen zu verlieren. Sie wusste, auch Matthias strengte sich sehr an.

Und wenn es nicht reichte? Wenn all ihre Anstrengungen nur dazu führten, dass sie sich immer nur stritten?

Sie sank auf den Stuhl. »Und nun?«, fragte sie leise.

»Ich weiß es nicht. Aber solange du lieber zu diesem anderen Mann gehst, statt bei uns zu sein …«

Leni schloss die Augen. »Da ist nichts, Matthias. Ich schwöre es dir beim …« Ihr fiel nichts ein, das stark genug war. Und beim Leben ihrer Tochter wollte sie nicht schwören.

»Aber warum gehst du zu ihm?«

Sie konnte es ihm nicht erklären. Nicht so, dass er es verstand, fürchtete sie.

Weil ich dort Ruhe habe. Florian macht nichts, außer dass er mir etwas zu essen und zu trinken bringen lässt. Ich sitze in dem Gästezimmer am Tisch und mache dort das, was ich hier auch mache – ich lerne. Aber ohne, dass du ständig hinter mir stehst. Oder das Baby zu mir will. Ich muss die nächsten Prüfungen bestehen, und das kann ich nicht, wenn ich nicht lernen kann, weil immer etwas zu tun ist.

Das hätte sie ihm sagen können. Aber in diesem Moment hätte es wie ein Vorwurf geklungen. Darum starrte sie nur auf ihre Hände und sagte nichts.

»Ist es so schlimm bei uns?«

»Nein«, flüsterte sie.

»Dann geh nicht mehr. Geh nicht zu ihm, Leni. Ich liebe dich doch. Ich brauche dich.«

Sie blickte auf. Wie er da vor ihr saß, in dem abgewetzten Chintz-Sessel, den sie vom Vormieter übernommen hatten. Seine dunklen Haare waren schon wieder fast zu lang, sie müsste sie ihm schneiden. Leni stand auf und holte aus dem kleinen Badezimmer ein Handtuch und die Schere.

»Jetzt lass doch mal meine Haare in Ruhe«, murrte er.

»Komm mit ins Bad. Bitte.«

Er stand auf und folgte ihr. Unter dem Waschtisch stand ein kleiner Hocker, den er nun vorzog und sich draufsetzte. Leni legte das Handtuch um seine Schultern. Ihre Hände strichen über sein Haar.

»Wir sind beide müde. Können wir morgen weiterreden?«

Er zuckte mit den Schultern. In seinen Augen blitzte etwas auf. »Ist es eine gute Idee, wenn du mir müde die Haare schneidest?«

Leni atmete auf. »Sie wachsen ja wieder nach.«

Aber die Schere ließ sie herabhängen, ihre Arme fühlten sich bleischwer an. Es stimmte, sie war müde.

Es war keine gute Idee, wenn sie müde stritten.

»Du hast recht.« Sie legte Schere und Kamm zurück auf den Waschtisch. »Morgen ist auch noch Zeit für einen Haarschnitt.«

»Versprichst du mir, nicht mehr zu Florian zu gehen?«, fragte Matthias. Er war aufgestanden. Sie standen so dicht voreinander, dass sie den Kopf in den Nacken legen musste, um in sein Gesicht zu sehen.

»Aber …«

Er wusste nicht, was er da von ihr verlangte. Wenn sie nicht mehr zu Florian ging, hieß das auch, dass sie die Prüfungen vielleicht nicht schaffte. Und dann wäre ihr Traum vorbei. Ihr Traum, Ärztin zu werden.

»Bitte, Leni. Ich verlange nicht viel von dir. Nur dieses eine.«

»Weil du denkst, dass ich bei ihm …«

Er seufzte. »Ich denke, du verlierst dich bei ihm. Wegen Joachim.«

»Er ist ein Freund«, sagte sie fest.

»Ja, dein bester Freund. Ich habe das schon verstanden. Ich weiß, während ich nicht hier war, hast du ein anderes Leben geführt. Eines, das ich vielleicht nicht so gut begreife, das mir fremd ist. Aber wir gehören doch zusammen, Leni.«

Sie hatten im Badezimmer voreinandergestanden, so dicht, dass Leni fast seine Brust spürte, die sich mit jedem Atemzug hob und senkte. Sie hatten geschwiegen. Leni hatte gewusst, dass Matthias von ihr eine Antwort erwartete. Und dass die einzige Antwort, die er bereit war zu akzeptieren, war, dass sie sich von Florian von Werder fernhalten würde. Von seinem Kreis reicher Freunde, die rauschende Partys feierten und Charleston tanzten, während daheim Lenis Baby und dessen Vater auf sie warteten.

»Es ist nicht so«, wiederholte sie.

Leni merkte, wie sich in Matthias etwas verschloss. Sah es in seinem Gesicht, das sich verfinsterte. Er zog die dunklen Brauen zusammen, blickte zu ihr herab. Sie wollte nach seiner Hand greifen, aber Matthias machte einen Schritt zurück und stieß dabei gegen den Waschtisch. Ihre Bürste rutschte herunter und knallte auf...

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